Die Arbeit am Buch zwingt zu einem besonderen Verhältnis zum künstlerischen Prozess. Vieles, was von Anfang an einfließt: Beobachtungen, Zeichnungen, Fotografien, Bilder, Texte … . Was einfließt und erst zusammengebracht werden muss, mit Gewinn und zugleich immer mit Verlust am künstlerischen Material. Vieles, was einfließt und dann doch so nicht bleiben kann. Nicht etwa, weil es nicht in den Rahmen des Gedachten passt. Nein, weil es so nicht reproduzierbar, druckbar, bindbar ist. Manchmal sprengt es einfach das Format. Und so wird von neuem gezeichnet, fotografiert, vielleicht auch geschrieben. Die x-te Bildbearbeitung bis das Ausgangsmaterial endlich steht. 

Wissen wir um die Möglichkeiten und Begrenzungen eines Druckverfahrens, eines Papiers, einer Bindungsart, werden wir schneller, zielsicherer. Und doch, selten ein künstlerisches Medium, das so viel Vorarbeit, so viel Prozess bedarf. Zugleich steht es dem Prozesshaften der Gegenwartskunst nahezu diametral entgegen. Hier ist sie kaum möglich, die vielfach beschworene Unabgeschlossenheit. »Wie viele Bilder am Ende zur Arbeit gehören? Welche Formate? Schwarzweiß oder Farbe? Das lasse ich offen. Ich will gar nichts Fertiges, Abgeschlossenes, zeige vielmehr den Prozess.« Diese Haltung, so dicht am künstlerischen Tun und ihr doch so fremd, häufig leicht zu haben – sie widerspricht den Anforderungen der Buchproduktion. Gedruckt und gebunden wird in einem Zuge. Die Papiermengen und Druckplatten müssen vorab bestellt – und bezahlt werden. Die Anzahl der zu integrierenden Arbeiten bestimmt die Bindungsart, die Papierwahl, die Anzahl der Druckfarben und Druckgänge. Die Auflagenhöhe muss vor Druckbeginn feststehen. Und man weiß: Ein Fehler ist nicht in einem einzelnen Buch, sondern in der gesamten, mühsam hergestellten Auflage. 

Gibt man einen Überblick über die Möglichkeiten des Büchermachens, verstrickt man sich in tausend Bedingungen – wenn, dann. »Wenn Farbseiten integriert werden sollen, dann vielleicht auf einem anderen Papier, dann aber auch auf einem anderen Druckbogen, womöglich in einer anderen Bindungslage. Zu wissen ist dann die genaue Reihenfolge, um zu prüfen, ob die Arbeit mit zwei Papieren überhaupt möglich, irgendwie rentabel ist. Womöglich müssen Lücken gefüllt, zusätzliche Aufnahmen, Zeichnungen gemacht werden.« Und dies ist nur ein Beispiel. Wenn man vor den Absprachen mit Werkstätten schon alles das wissen wollte, was vor dem Handwerksgang gewusst werden muss, man würde nie beginnen. Lehre des Büchermachens beinhaltet nicht nur das Bekanntmachen mit Fachwissen, sondern auch die Ermutigung zum Anfangen – selbst wenn noch nicht alles fixiert werden kann; das Mutmachen zum Treffen von Entscheidungen, auch wenn nicht völlig absehbar ist, wohin sie führen. 

Die Arbeit am Buch, welche Material und Technik mit einbezieht und künstlerisch produktiv macht, ist eine Befähigung zur Entscheidung. Vielleicht das vor allem anderen. Ein Offenhalten der Wahl, eine Nicht-Formation oder Vor-Formation im Sinne Umberto Ecos früher Kunsttheorie ist hier nicht möglich. Zum Glück vergißt man mit Abschluss des Buches, wie viele Entscheidungen zu fällen waren, wie viele Unsicherheiten zu überwinden. Im besten Falle erscheint das Ergebnis so schlüssig, dass die fallengelassenen Möglichkeiten nicht mehr wichtig sind. Im Nachgang erscheinen die verzahnten Entscheidungen, und seien sie auch intuitiv getroffen oder von den Zufallsbedingungen der Zeit bestimmt – jene Werkstatt hat eigene Gewohnheiten, jenes Papier steht kostengünstig zur Verfügung, jener Virus, der irgendwie alles in Frage stellt –, als folgerichtiger Vorgang. Und das liegt nicht an unserer Neigung, Schwierigkeiten nachträglich zu vergessen, sondern daran, dass das künstlerische Vorhaben mit jeder kleinteiligen Entscheidung über scheinbar nur Formales wächst, die eigenen Anliegen klarer werden, materielle Zufälle den Gedanken formen. Die Enscheidungen hin zum Abgeschlossenen verdichten die Ausgangsmaterialien und bringen sie zum Sprechen. Ein nachträgliches Erklären der Einzelschritte ist nicht mehr nötig, verhindert den Blick auf die Eigenständigkeit des künstlerischen Buches. 

Und doch, mit den Jahren des Büchermachens, ist mir der Buchabschluss als zweischneidig in Erinnerung. Die Freude über die abschließende Klarheit, über den gelungenen letzten Arbeitsganges, der erst über die Sinnfälligkeit der gesamten Arbeitszeit entscheidet. Und die Trauer beim Aufräumen des Arbeitsplatzes. Die lang herumgetragenen Entwürfe, Beispielbindungen, Originalzeichnungen, die Folien zur Übertragung auf die Druckplatte, in die so viel Mühe und Alltagserinnerungen eingegangen sind, Gespräche, Meldungen aus dem Radio, Musik – all das wird plötzlich nicht mehr gebraucht, muss in den Müll, um Platz für Neues zu schaffen. Und nicht zuletzt die Handgriffe und Fachwörter der Buchherstellung, kaum heimisch geworden im eigenen Mund, in den eigenen Gesten, schon werden sie wieder verdrängt von den Sprachen und Handlungen anderer Welten. Bei aller Hinwendung zu den individuellen Büchern, die in der Zeit dieser Gemeinschaftsproduktion entstanden sind oder noch entstehen werden, hier wird ausnahmsweise an den Bruchstücken der Arbeit festgehalten. Kurz leuchtet er auf, der Arbeitsprozess am Buch. Und doch ist auch dieses Prozessbild Ergebnis von Entscheidungen.

/ Gesa Foken, Frühjahr 2021

 

Hochschule für Grafik und Buchkunst, Begleitung studentischer Buchvorhaben und gemeinsame Sichtbarmachung der Arbeit am Buch in der Gemeinschaftspublikation »Einschlag. Reflexionen aufs Buch«. Gezeigt werden hier keine Ausschnitte der individuell entstandenen Bücher sondern visuelle Prozessbeschreibungen.      

 

 

 

 

 

 

 

 

Mitwirkende

Julia Ahlert

Felix Almes 

Natalia Bougai   www.bougai.com

Nicole Burnett

Fedele Friede   www.instagram.com/fem_dele

Isabell Hoffmann   www.instagram.com/ihsoafbfemlalnn 

Susanne Kontny   www.instagram.com/subusibi 

Ofra Ohana 

Nele Sandner   www.instagram.com/nelehendrikjesandner

Johannes Unger 

 

 

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